Mein Leben zwischen zwei Kulturen: Erfahrungen einer Ecuadorianerin in Deutschland
Seit vielen Jahren lebe ich nun in Deutschland, doch Ecuador bleibt ein Teil von mir – tief in meinem Herzen verankert. Mein Leben hier ist geprägt von einer besonderen Realität: dem Balanceakt zwischen zwei Kulturen, die mich gleichermaßen formen.
Die Welt verändert sich rasant. Globalisierung, Kriege, wirtschaftliche Krisen und der Klimawandel haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen und anderswo ein neues Leben beginnen. Homogene Kulturen gibt es kaum noch, stattdessen entstehen immer mehr multikulturelle Gesellschaften.
Das spüren wir alle im Alltag: Wir probieren neue Gerichte aus – „Hast du schon das indische Essen probiert?“ oder „Komm, wir gehen ins brasilianische Restaurant!“ –, entdecken fremde Traditionen und kaufen Mode aus aller Welt.
Doch was bedeutet es wirklich, in einer anderen Kultur zu leben und sich zu integrieren? Welche Herausforderungen bringt das mit sich? Und wie kann man seine Identität bewahren, während man sich gleichzeitig anpasst?
Ankommen in Deutschland: Ein Kulturschock mit Wachstumspotenzial
Wer in ein fremdes Land zieht, muss sich nicht nur an eine neue Umgebung, sondern auch an eine völlig andere Denk- und Lebensweise gewöhnen. Eine der größten Hürden für mich war zunächst die Sprache. Deutsch zu lernen war ein essenzieller Schritt, um mich verständigen zu können und Anschluss zu finden.
Doch Sprache ist nur ein Teil der Integration. Es geht auch darum, gesellschaftliche Normen zu verstehen und zu respektieren. Deutschland ist ein Land mit vielen ungeschriebenen Regeln, und es hat eine Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte.
Nicht selten war ich überrascht oder verwirrt – etwa, als ich merkte, dass es hier nicht üblich ist, sich mit Küsschen zu begrüßen, wie wir es in Ecuador tun. Oder als ich zum ersten Mal in eine deutsche Sauna eingeladen wurde und herausfand, dass es normal ist, sich dort völlig nackt zu zeigen.
Trotz dieser Unterschiede wusste ich: Wenn ich hier leben und erfolgreich sein will, muss ich offen sein, lernen und mich anpassen, ohne mich dabei selbst zu verlieren.
Deutsche Kultur – Mehr als Oktoberfest, Bier und Weihnachtsmärkte
Viele Menschen haben ein sehr einseitiges Bild von Deutschland. Sie denken an das Oktoberfest, an Bier, Wurst und Brezeln oder an die malerischen Weihnachtsmärkte. Doch Deutschland hat viel mehr zu bieten – insbesondere, wenn es um Werte und gesellschaftliche Normen geht.
Hier sind einige Dinge, die mich besonders beeindruckt haben:
1. Pünktlichkeit – Zeit ist heilig
In Deutschland bedeutet fünf Minuten zu spät bereits „zu spät“. Pünktlichkeit ist eine Form des Respekts. Anfangs fiel mir das schwer, aber heute schätze ich es sehr. Ich habe gelernt, dass es nicht nur um Zeitmanagement geht, sondern auch darum, Verlässlichkeit zu zeigen.
2. Die Kunst der Planung
Spontanität? In Deutschland eher selten! Hier wird alles lange im Voraus geplant – sei es ein Treffen mit Freunden oder eine große Feier. Während es in Ecuador völlig normal ist, einfach vorbeizukommen oder spontan eine Party zu organisieren, brauchen die Deutschen klare Strukturen. Heute plane ich nicht nur meine Woche, sondern verschicke auch meine Einladungen Monate im Voraus.
3. Begrüßungen – Kein Küsschen, bitte!
In Ecuador ist es üblich, Freunde und Bekannte mit einem Wangenkuss zu begrüßen. In Deutschland jedoch gilt: Ein einfaches „Hallo“ oder ein Handschlag reicht. Anfangs fühlte sich das für mich distanziert an, aber ich habe gelernt, es zu akzeptieren.
4. Die Sauna-Erfahrung – Nackt unter Fremden?
Für mich war es eine große Herausforderung, die deutsche Saunakultur zu verstehen. In Ecuador sind wir eher konservativ erzogen, und es war unvorstellbar, nackt unter Fremden zu sein. Mittlerweile sehe ich es als eine besondere Form der Körperakzeptanz – aber ehrlich gesagt, ich habe mich immer noch nicht ganz daran gewöhnt.
5. Schuhe aus!
Eine der deutschen Gewohnheiten, die ich schnell übernommen habe: Schuhe bleiben draußen! Es ist nicht nur hygienischer, sondern macht auch das Zuhause gemütlicher.
6. Recycling – Umweltbewusstsein als Lebensstil
Deutschland ist weltweit für sein striktes Mülltrennungssystem bekannt. Plastik, Papier, Glas – alles wird getrennt entsorgt. In Ecuador ist Recycling noch nicht weit verbreitet, aber ich hoffe, dass mein Heimatland in Zukunft mehr in nachhaltige Projekte investiert.
7. Vertrauen muss man sich verdienen
Eine der wichtigsten Lektionen, die ich in Deutschland gelernt habe, ist, dass Vertrauen Zeit braucht. Deutsche sind zunächst oft zurückhaltend, aber wenn sie dich erst einmal kennen, sind sie treue und zuverlässige Freunde. Das gilt auch für den beruflichen Bereich.
Deshalb bin ich unendlich dankbar für die Menschen und Institutionen, die mich unterstützt haben – sei es die Industrie- und Handelskammer Siegen, lokale Geschäfte, die mir ermöglicht haben, mein Produkt zu präsentieren, oder die Medien, die meine Geschichte geteilt haben. Ohne sie wäre ich nicht dort, wo ich heute bin.
Zwischen zwei Welten: Ecuador in meinem Herzen, Deutschland in meinem Alltag
So sehr ich mich mittlerweile in Deutschland zu Hause fühle, bleibt Ecuador meine Heimat. Jedes Mal, wenn ich zurückfliege, genieße ich nicht nur die warmherzige Kultur, sondern auch das Essen, das mir so sehr gefehlt hat.
Aber das Lustige ist: Kaum bin ich in Ecuador, bekomme ich plötzlich Heißhunger auf eine deutsche Wurst mit Brot! Es ist faszinierend, wie sehr uns eine andere Kultur prägen kann – selbst, wenn wir es anfangs nicht bemerken.
Gleichzeitig sehe ich, dass auch in Ecuador deutsche Einflüsse Einzug halten. Es gibt zwar nicht viele Deutsche, die dort leben, aber diejenigen, die es tun, integrieren sich ebenso in unsere Gesellschaft. Wir Ecuadorianer helfen ihnen dabei – denn Integration funktioniert in beide Richtungen.
Fazit: Integration ist ein Geben und Nehmen
Heute kann ich sagen: Mein Leben ist eine Mischung aus zwei Kulturen. Ich habe gelernt, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Ich bin stolz darauf, Ecuadorianerin zu sein, aber ich habe auch viele deutsche Werte schätzen gelernt.
Integration bedeutet nicht, seine Wurzeln zu vergessen. Es bedeutet, offen für Neues zu sein und sich anzupassen, ohne sich selbst zu verlieren. Es ist ein Prozess, der Zeit braucht – aber er ist es wert.
Und genau deshalb ist es so wichtig, dass wir einander unterstützen. Egal, woher wir kommen – gemeinsam können wir wachsen.
Eure Maria